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                                                            Dachatlas 1975 / 1980: Geneigte Dächer:  Dachtragwerke - Dr.-Ing. Wolfgang Brennecke

Beim reinen Sparrendach wird die Belastung der Sparren von diesen allein abgetragen - es ist dadurch das einfachste Dachtragwerk. Die Sparren bilden paarweise zusammen mit der Decke des darunter liegenden Geschosses steife Dreiecke [50], die man statisch als Überlagerung von zwei Systemen auffassen kann:

1. als zwei voneinander unabhängige, schrägliegende Einfeldträger, die eine gleichmäßig verteilte Belastung erhalten und diese überwiegend durch Biegemomente zu ihren Enden weiterleiten [51],

2. als eine Dreigelenkkonstruktion, die die am First anfallenden Auflagerkräfte der Einfeldträger in Form von Längskräften zu den Fußpunkten abträgt [52].

Voraussetzung für die Wirksamkeit des zweiten Systems ist, dass die Fußpunkte nicht nur vertikale Lasten aufnehmen können, sondern auch beträchtliche Horizontalkräfte. Sollte unter dem Dach keine durchgehende Decke sein, so ist das Tragwerk nur anwendbar, wenn sich die Unverschieblichkeit der Fußpunkte auf andere Weise sichern lässt - hierauf wird später noch eingegangen (vgl. Seite 70 und 76).

Je flacher die Neigung ist, desto größer sind die in SparrenIängsrichtung herrschenden Kräfte [53]. Sie wirken sich jedoch kaum auf die Bemessung der Sparren aus (gegenüber einem nur auf Biegung bemessenen Sparren genügt meist der nächstgrößere Querschnitt). Die Aufnahme des Horizontalschubs in der Decke bereitet auch bei geringer Dachneigung keine Schwierigkeiten. Die Übertragung der Firstkräfte kann allenfalls bei Neigungen unter 20° Beachtung heischen. Somit besteht von der Aufnahme der Kräfte her kein Grund, nicht auch flachgeneigte Sparrendächer zu erstellen. Hiervon riet man früher ab (Hempel begann seine Bemessungstafeln 1958 mit 25°, davor galten 30° als Mindestwert). Dass sich auch aus den am First zu erwartenden Höhenänderungen keine zwingenden Gegengründe ergeben, wird bei der Besprechung der Gielbel-Verankerung gezeigt (Seite 88). Sorgfältige Arbeit ist selbstverständlich Voraussetzung - ein nur 0,5 cm zu kurzer Sparren bedingt bei 20° bereits einen 1 cm zu tiefen Firstpunkt. Zumindest bis 20° dürften Sparrendächer jedoch ohne weiteres möglich sein.

Gespärre mit unverschieblichen Fußpunkten bilden in Querrichtung des Daches stabile Tragwerke - in Längsrichtung muss die Standfestigkeit durch besondere Maßnahmen gewährleistet werden, Zwar sorgen die Dachlatten für das Zusammenwirken aller nebeneinanderliegenden Sparren, doch muss auch sichergestellt sein, dass nicht alle Sparren gleichzeitig ausknicken oder umkippen [54]. Die Kippgefahr wird dadurch erhöht, dass die Giebelwände gewöhnlich nicht für sich selbst standfest sind, sondern die auf sie wirkenden Winddruck- und Windsogkräfte auf die Dachkonstruktion übertragen und von dieser aufgenommen werden müssen. Bei nicht ausgebauten Sparrendächern geschieht dies gewöhnlich durch unter die Sparren genagelte Windrispen [55]. Sie werden in der Regel an den Giebeln, bei sehr langen Dächern auch noch dazwischen angeordnet. Wo eine glatte Sparrenuntersicht gefordert wird, kann man Windrispen stückweise zwischen den Sparren anbringen, obwohl dies ziemlich aufwendig ist (Näheres bei der Ausbildung der oberen Anschlüsse, Seite 83). Es ist auch möglich, eine aussteifende Verschalung vorzusehen, wie sie bei den Dächern mit Scheibentragwirkung besprochen wird (Seite 70).

Manchmal kann man auch in Gebäudelängsrichtung laufende Innenwände (z.B. von Treppenhäusern) zur Aussteifung heranziehen, indem man das Dachtragwerk daran verankert.

Im Hinblick auf die Nutzung des Dachraums bietet das Sparrendach die größtmögliche Freiheit, weil es keinerlei innenliegende Konstruktionsteile benötigt. Dabei stellt es für Dächer mit geringer Spannweite das wirtschaftlichste Tragwerk dar - wo Tragwände zur Aufnahme von Pfostenlasten nur in großem Abstand zur Verfügung stehen oder ganz fehlen, kommt es sogar bei mittleren Gebäudebreiten in Frage. Näheres hierzu bei der Behandlung der Wahl des Tragwerks (Seite 77 bis Seite 81).

Nachteilig ist beim Sparrendach allenfalls, dass größere Fensteröffnungen nur beschränkt möglich sind - hierauf wird bei der Besprechung der Dächer für den Dachausbau eingegangen (S. 69).

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